Clemens Brentano                 Sonett

1778 - 1842

Es saß ein Kind ganz still zu meinen Füßen,
Und spielte froh mit freundlichen Gedanken,
Es blickt mich an, bis ihm die Blicke sanken,
Und goldne ferne Lande sich erschließen,

 

Von allen Seiten dringt ein süßes Grüßen,
Das alte Leben muß nun abwärts wanken,
Daß neue frohe Zweige grün umranken
Und rund umher ihm zarte Blumen sprießen.

 

Das Kind erwacht, und fraget mich mit Bangen,
Ob andern wohl ein solcher Traum gelinge,
Ob ich's allein mit Zauberei umfangen,

 

Daß dankbar es die Arme um mich schlinge.
Da rötet mir Verwunderung die Wangen
Woher das Kind die kühne Frag erschwinge.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Clemens Brentano             Annonciatens Bild

1778 - 1842                               Bettina

 

Am Hügel sitzt sie, wo von kühlen Reben
Ein Dach sich wölbt durchrankt von bunter Wicke,
Im Abendhimmel ruhen ihre Blicke,
Wo goldne Pfeile durch die Dämmrung schweben.

 

Orangen sind ihr in den Schoß gegeben
Zu zeigen, wie die Glut sie nur entzücke,
Und länger weilt die Sonne, sieht zurücke
Zum stillen Kinde in das dunkle Leben.

 

Der freien Stirne schwarze Locken kränzet
Ihr goldner Pomeranzen süße Blüte,
Zur Seite sitzt ein Pfau, der in den Strahlen

 

Der Sonne, der er sehnend ruft, erglänzet.
Mit solchen Farben wollte das Gemüte
Von Annonciata fromm ein Künstler malen.

 

 

 

 

 

 

 

Clemens Brentano

1778 – 1842

Auf Dornen oder Rosen hingesunken? –
– Ob leiser Atem von den Lippen fließt –
– Ob ihr der Krampf den kleinen Mund verschließt –
– Kein Öl der Lampe? – oder keinen Funken? –

 

Der Jüngling – betend – tot – im Schlafe trunken?
– Ob er der Jungfrau höchste Gunst genießt –
Was ist's? das der gefallne Becher gießt –
– Hat Gift, hat Wein, hat Balsam sie getrunken –

 

Und sieh! des Knaben Arme Flügel werden –
– Nein Mantelsfalten, – Leichentuches Falten
Um sie strahlt Heilgenschein – zerraufte Haare –

 

O deute die undeutlichen Gebärden,
O laß des Zweifels schmerzliche Gewalten –
Enthüll, verhüll das Freudenbett – die Bahre.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Clemens Brentano                 Geheime Liebe

1778 – 1842

Unbeglückt muß ich durchs Leben gehen,

Meine Rechte sind nicht anerkannt;

Aus der Liebe schönen Reich verbannt,

Muß ich dennoch stets ihr Schönstes sehen!

 

Nicht die schwache Zunge darf’s gestehen,

Nicht der Blick, verstohlen zugesandt,

Was sich eigen hat das Herz ernannt,

Nicht im Seufzer darf’s der Brust entwehen!

 

Tröstung such ich bei der fremden Nacht,

Wenn der leere lange Tag vergangen,

Ihr vertrau ich mein geheim Verlangen;

 

Ist in Tränen meine Nacht durchwacht,

Und der lange leere Tag kommt wieder,

Still ins Herz steigt meine Liebe nieder.

 

 

 

 

 

 

Clemens Brentano                 Mariens Bild

1778 - 1842

Im kleinen Stübchen, das von ihrer Seele
An reiner Zierde uns ein Abbild schenket,
Sitzt sie und stickt, den holden Blick gesenket,
Daß sich ins reine Werk kein Fehler stehle.

 

Was ihres Busens keuscher Flor verhehle
Und ihre Hand in stillem Fleiße lenket,
Die Lilie an ihrer Seite denket,
Das Täubchen dir in ihrem Schoß erzähle.

 

Durchs Fenster sehen linde Sonnenstrahlen,
Die Josephs Bild, das eine Wand bedecket,
Mit ihrem frohen Glanze heller malen,

 

Und wär der Schein der Taube zu vereinen,
Die sie herabgebückt im Schoß verstecket,
Marie würde Mutter Gottes scheinen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Clemens Brentano                 Über eine Skizze

1778 – 1842

Verzweiflung an der Liebe in der Liebe

 

In Liebeskampf? In Todes Kampf gesunken?
Ob Atem noch von ihren Lippen fließt?
Ob ihr der Krampf den kleinen Mund verschließt?
Kein Öl die Lampe? oder keinen Funken?

 

Der Jüngling – betend? tot? in Liebe trunken?
Ob er der Jungfrau höchste Gunst genießt?
Was ist's, das der gefallne Becher gießt?
Hat Gift, hat Wein, hat Balsam sie getrunken.

 

Des Jünglings Arme, Engelsflügel werden –
Nein Mantelsfalten – Leichentuches Falten.
Um sie strahlt Heilgen Schein – zerraufte Haare.

 

Strahl' Himmels Licht, flamm' Hölle zu der Erde
Brich der Verzweiflung rasende Gewalten,
Enthüll' – Verhüll' – das Freudenbett – die Bahre.

 

 

 

 

 

 

 

Clemens Brentano                

1778 – 1842                                        Soll sich vor Dir des Baumes Stolz enthüllen,

Der nur allein sich selbsten aufwärtsstrebet,

Des Busches Geist, der heil’ge Schatten webet,

Und was der Blume zarte Kelche hüllen.

 

So mußt du alle laute Neugier stillen

Der zarte Geist, der in dem Busen lebet,

Gar schnelle wie ein leiser Hauch entschwebet,

Und nimmer kehret er den stolzen Willen.

 

Im tiefen Grund nur wohnet das Ergründen,

Das Äußre laß vor Deinen Augen schwinden

Und steige kühn dann in die heil’ge Erde.

 

Ein freudig Staunen wird sich m Dich winden

Wie die verschiedne äußere Gebärde

Aus innerem und heil’gem Geiste werde.

 

 

 

 

 

 

Clemens Brentano                 Bilden und Verstehen

1778 – 1842

Was wir in uns die tiefe Sehnsucht nennen,

Was uns mit dunklen Wünschen still erfüllt,

Die tiefe Wärme, hohes Licht so mild,

Sind Elemente, die wir selten kennen;

 

Die sich im einzelnen geheim zertrennen,

Wie Licht in dir, in mir sich Wärme hüllt,

Doch immer dringt ein Leben durch das Bild,

Wenn Licht und Wärme nicht als Flamme brennen.

 

Die Wärme in den Herzen war so groß,

Daß ich ins kühle Mondenlicht gesehen;

Nun brennet wild die Flamme mir im Schoß.

 

Und endlich muß ein heilig Bild erstehen:

Reißt ewig sich so Licht als Wärme los,

So einigt sich ja Bilden und Verstehen.

 

 

 

 

 

Clemens Brentano                 Auferstehung und Metamorphose

1778 – 1842

O Liebliche! wie schön bist du erstanden!

Die Rose, in sich selbst so tief verglühet,

Ist hoch in dir, du Lilie erblühet,

In der sich Form und Inhalt schön verbanden.

 

O zürne nicht, weil ich es dir gestanden,

Daß der, der um die Rose sich bemühet,

Aus ihr dich Lilie erstanden siehet,

O zürne nicht, hast du es gleich verstanden.

 

Was in der Rose Sinnenglut verglommen,

Muß in der Lilie geistger sich entfalten,

Muß sich in Licht und reiner Hoheit heben.

 

Wie Form und Geist sich ewig näher kommen,

So wechseln immer höher die Gestalten,

Doch wohnt nur eine Liebe in dem Leben.

 

 

 

 

 

Clemens Brentano                 Sie hat mein vergessen !

1778 – 1842

O schwerer heißer Tag, ihr leichtes Leben

Schließt müde weinend seine Augenlider,

Schon senkt der Schlaf das thauende Gefieder,

Um solche Schönheit kühl ein Dach zu weben. –

 

Von ihren Lippen leise Worte schweben:

„Du Liebe süßer Träume kehre wieder!“

Da läßt sich ihr der Traum der Liebe nieder,

Um ihres Schlummers kranke Luft zu heben. -

 

„Du Traum! – ich bin kein Traum,“ spricht er mit Bangen,

„O laß uns nicht so holdes Glück versäumen!“

Da weckt er sie und wollte sie umfangen. –

 

Sprecht! Wessen bin ich? Wer hat mich besessen?

Ich lebte nie – war eines Weibes Träumen –

Und immer starb ich, - Sie hat mein vergessen!

 

 

 

 

Clemens Brentano                 An S.....g.

1778 – 1842

Erhebe dich von dem verschloss’nen Munde,

Komm von dem Lager, wo Maria ruht:

Er schläft so heiter, ruhig, still und gut,

So lächelnd sah er der Befreiung Stunde.

 

Noch streitend fühlt er schon, daß er gesunde,

Frei wird in seiner Brust der höh’re Mut,

In Ahnung löst sich die verschwiegne Glut,

Geheilt ist bald des Lebens tiefe Wunde.

 

Maria schläft; verschlossen ist sein Mund,

Er ist die Antwort schuldig mir geblieben,

Ach! wirst denn du sie meiner Liebe geben?

 

Ist es denn wahr? Kann denn der Mensch nicht lieben?

Ist keine Wahrheit in dem dunklen Leben?

Wird jeder Schmerz im Tode nur gesund?

 

 

 

 

Clemens Brentano                

1778 – 1842

Heil dir, der in der Dichtung magern Rappen

Gespornet frisch, wie Ritte Don Quixote,

Entrissen kühniglich aus Glück und Nothe

Hast du dich aus dem Streit poetscher Knappen.

 

Wozu nach Abenteu’r und Reimen tappen?

Dich traf der Weltlauf mit gar harter Pfote,

Dann kam des Tods entschuldigender Bote

Und nahm dem Leben seine Schellenkappen.

 

Nun sind zu Ende alle die Geschichten,

Dich hat ein Gott der Lit’ratur entzogen,

Du badest dich allein in blauen Wogen.

 

Wozu noch länger reimen, dichten, richten,

Du hast verlassen unsre Katakomben

Und freuest dich der Götter Hekatomben!

 

 

 

 

 

 

 

 

Clemens Brentano                 Sonett an Bettina

1778 – 1842

Laß dich, mein Kind, den Tadel nicht verführen,

Vertrau, wenn du ihn hast, dem guten Sinn,

Und sprich; Nur weil ich nicht unsterblich bin

Will die Versöhnung liebend mir gebühren!

 

Denn Gottes Hand, sie kann uns plötzlich rühren,

Und stürb der Freund mir unversöhnet hin,

So wäre scharfer Tadel den Gewinn,

Daß Liebe ich gegeben, mir entführen!

 

Bis dahin suche Trost in dem Sprichworte,

Daß Rom nicht ist in einem Tag gebauet,

Daß Alle Alles auch zugleich nicht können;

 

Daß vor dem Morgen erst der Himmel grauet,

Daß trunken bunt Aurora pflegt zu brennen,

Bevor der Gott tritt aus der Sonnenpforte!